Schule wohin

Vorwort
Schule wohin?
Psychologische Grundlagen zur Menschenbildung in Familie und Schule
Was läuft in unserer Volksschule falsch?
Diese Frage wird heute viel diskutiert, oft polemisch, oft auch sinnvoll und aufbauend. Es ist eigentlich seit Jahrzehnten klar, dass eine „soziale Schule" den Anforderungen einer günstigen Entwicklung des Kindes gemäss den entwicklungs- und tiefenpsychologischen Erkenntnissen genügen müsste. Nur geht die Schulreform andere Wege.
Man weiss heute was das Kind braucht, um ein mutiger, kooperativer und glücklicher Mitmensch zu werden. Im Kreise der Familie entwickelt das Kind seine Gefühle bezüglich der Gemeinschaft und sich selber. Hat es in der Familie gelernt, aktiver Mitspieler zu sein, sich für vielfältige soziale Aufgaben zu interessieren, könnte sich die Schule darauf beschränken, seine bereits vorbereitete soziale und geistige Entwicklung weiterzuführen und zu stabilisieren. In der Schule zeigt sich, wie das Kind in der Familie auf die Aufgaben des Lernens in der Gemeinschaft vorbereitet wurde. Alfred Adler sagt dazu: „Je besser das Kind für die Notwendigkeit der Schule vorbereitet ist, desto weniger Schwierigkeiten wird es haben, und je schlechter es vorbereitet ist, umso stärker werden seine Schwierigkeiten sich vermehren. Die Schule ist also ein „Experiment", eine Testprüfung, die ergibt, wie das Kind für seine soziale Aufgabe vorbereitet ist". (A. Adler, Individualpsychologie in der Schule, Vorlesungen für Lehrer und Erzieher, zit. nach Fischer-Ausgabe 1973).
Wie aus A. Adlers Erörterungen über die Entwicklung des Säuglings zum Kleinkind hervorgeht, ist jegliches Lernen als ein „sozialer Lernprozess" anzusehen, der sich in der Beziehung des Kindes zu seinen ersten Bezugspersonen entwickelt.
Der Säugling braucht eine zuverlässige Bezugsperson; meistens ist dies die Mutter. Sie steht am Anfang der menschlichen und sozialen Entwicklung des Kindes. In dieser ersten Beziehung ist das Gemeinschaftsgefühl physiologisch und psychologisch verankert. Aufgrund seiner physischen und psychischen Schwäche ist der Säugling bestrebt, zu wachsen und sich zu entfalten. Gerade durch diese natürliche Zielsetzung wird er empfänglich für die unbedingte Liebe und Verlässlichkeit der ersten Bezugsperson, die ihm einfühlsam über seine Schwächen hinweghilft und ihm den ersten Kontakt mit einem „anderen Menschen" und das „erste Interesse" an einem anderen als zu sich selbst vermittelt. Sie legt das Urvertrauen. Das also ist die Aufgabe der Mutter, die dann auch wesentlich erweitert werden muss: das Interesse des Kindes auch auf den Vater zu erwecken, für die Geschwister, für die Kinder aus der Nachbarschaft. Bereits mit 4 - 5 Jahren ist zu erkennen, ob das Kind „ein richtiger Mitmensch sein wird oder nicht". Versagt die Mutter in ihrer Aufgabe, bleibt das Kind für die Probleme des sozialen Lebens unvorbereitet. Der Mutter wird also bezüglich der Sozialisation des Kindes eine grosse Bedeutung zugeschrieben. Aus dieser Verbundenheit mit der Bezugsperson schöpft das Kind den Mut, seinen Erlebnisbereich auszudehnen, zu lernen, zu üben und seine Fähigkeiten zu entwickeln. Die Bedeutung der Eltern für die Menschwerdung ihres Kindes ist enorm und zwar vom ersten Lebenstag an.
Im Kindergarten und in der Schule erfolgen die ersten Schritte, mit denen sich das Kind aus dem Familienverband löst und sich in eine neue Gemeinschaft einordnen muss. Nun zeigt es sich, wie das Kind aufs Lernen vorbereitet ist.
Was nun ist die „Aufgabe" der Schule? – Die meisten Kinder freuen sich auf die Schule und machen begeistert mit, was der Lehrer vorgibt. Sie orientieren sich an ihm und gliedern sich gerne in die Gemeinschaft der Klassenkameraden ein. - Was aber tun, wenn das Kind die Kooperation verweigert, wenn es nur tun will, was ihm gerade in den Kopf kommt oder wenn es gelangweilt und passiv am Unterricht teilnimmt? Nützt es ihm in dieser Situation, wenn der Lehrer, wie das heute propagiert wird, ihm „die Wahl überlässt, was es tun möchte"? Was braucht das scheue, gehemmte oder verstockte Kind, um aktiv mitzumachen? Was braucht das orientierungslose, ichbezogene Kind, das gewohnt ist, dass sich alles nach ihm richtet? Individualisierender Unterricht, es dem Kind überlassen, was es tun will, oder konkrete Anleitung?
Der Lehrer hat eine anspruchsvolle Aufgabe. Er muss zwar nicht die Funktion eines Arztes oder Therapeuten übernehmen, aber sein menschliches Bemühen für das gestrauchelte Kind muss gestärkt und unterstützt werden, ist doch das Kind ehrlich ausgerichtet auf die Persönlichkeit des Lehrers. Sie kann ihm Ansporn, Mut und Vorbild sein.
Was bieten nun die Schulreformen dazu? Es ist leider erwiesen, wie auch dem Referat von Dr. Burger entnommen werden kann, dass die Lehrer heute kaum mehr Zeit finden, eine führende und wohlwollende Beziehung zum Schüler zu entwickeln. Der Lehrer, konfrontiert mit anderen Anforderungen wie „teamfähig" zu werden im Lehrerkollegium, Berge administrativer Arbeiten und Sitzungen, wird von seiner Kernaufgabe zusehends abgelenkt. Seine Aufgabe als Pädagoge verblasst zusehends. Dabei wäre sie so dringend notwendig, wie am Beispiel der Lernhilfe des Vereins Jugendberatung deutlich erkennbar wird. Es geht darum, das Kind in seiner einzigartigen Persönlichkeit zu erfassen, in seinen unbewussten Zielsetzungen, die sich in seinem Verhalten zeigen, zu verstehen. Daraus erfolgen dann die Schritte zur Stärkung und Ermutigung, aber auch der konkreten Anleitung im zwischenmenschlichen Bereich.
Der Verein Jugendberatung hilft mit, Probleme unserer Zeit zu analysieren, einzuordnen und sich auf die erzieherischen Aufgaben zu besinnen. Wir können unsere Kinder doch nicht menschlich verwildern und seelisch verwahrlosen lassen. Zusammenarbeit und konstruktiver Dialog zwischen Eltern und Lehrern, die sich ihrer Verantwortung bewusst sind, ist gefragt. Ob Eltern oder einfach „Bürger" unserer Demokratie, wir alle sind aufgerufen, uns über die Neuerungen unserer Schule zu informieren. Diese Broschüre mit dem Referat von Dr. Burger gibt uns eine glasklare Analyse der Schulreformen. Die verschiedenen, in der Broschüre diskutierten Erfahrungen im Umgang mit Schule und Lernhilfe sollen dem Leser zum Wohle unserer Kinder Mut und Zuversicht vermitteln.
Margrit Niessen